Bares wird Unwahres: Der bittere Kampf gegen den Sparstrumpf

In kleinen, steten Schritten in Richtung Ende des Bargelds...

Bares wird Unwahres: Der bittere Kampf gegen den Sparstrumpf

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Österreicher lieben Bargeld – seit Jahren sind wir in Umfragen über seine Abschaffung die Skeptischsten. Während sich mit der Corona-Krise auch hierzulande die Stimmung langsam dreht, gibt es vielerorts bereits empfindliche Einschränkungen beim Bargeldverkehr.

Von Alfons Kluibenschädl

Als Vorreiter in Europa gilt Schweden: Mehr als 80 Prozent der Zahlungen werden mit der Karte abgewickelt. Das erste Land, das – im Jahr 1661 – auf unserem Kontinent Bargeld druckte, verlegte seinen geplanten Ausstieg daraus zuletzt sogar um sieben Jahre nach vorne, bereits 2023 soll es keine Rolle mehr spielen. Die Reichsbank arbeitet weiter an der Einführung der E-Krone, einer zentral verwalteten Digitalwährung unter Aufsicht der Banken.

China macht Ernst mit dem staatlichen Digital-Geld

Überholt wurden die Skandinavier inzwischen von China. Der totalitäre Staat führte im Sog der Corona-Maßnahmen testweise den E-Yuan für seinen üppigen Beamtenapparat ein. Ein Teil der Pendlerpauschale wird seitdem über eine verpflichtende App ausbezahlt. In einigen Regionen ist eine Bezahlung damit bereits möglich, die Regierung treibt den Ausbau voran. Bis Olympia 2022 in Peking soll der Prozess abgeschlossen sein.

Brisant dabei: Drei Jahre nach einem Spekulationsverbot mit Bitcoin und anderen Kryptowährungen schaut man sich ausgerechnet die dortige Blockchain-Technologie ab. Mit dem Unterschied, dass der E-Yuan unter staatlicher Kontrolle steht – anstatt, wie das Vorbild, auf Dezentralisierung und Unabhängigkeit von Notenbanken und Staaten zu setzen.

Digitale Geschäfte sind in China längst Alltag, viele Geschäfte nehmen kein Bares. Sogar Bettler und Straßenmusikanten halten ihren Gönnern QR-Codes entgegen. Dissidenten wissen um die Kontrollmöglichkeiten: Als sich im Vorjahr die Proteste in Hongkong entzündeten, kauften sie die Öffi-Tickets bar. Sie argumentierten: Es schütze sie mangels Nachverfolgbarkeit vor Repression. Längst sind solche Szenarien auch auf dem europäischen Festland denkbar.

Verschärfte Obergrenzen in Europa

Ab 10.000 Euro gilt EU-weit eine Meldepflicht für Transaktionen. Österreich gibt sich damit zufrieden, lässt sie aber auch beim Goldkauf gelten. Einige Mitgliedsstaaten gehen weiter. In Italien wandert die Obergrenze für die Bezahlung mit Bargeld schrittweise herunter: Waren es anfangs 3.000 Euro, sind es seit Juli nur mehr 2.000 Euro, ab 2021 werden es 1.000 Euro sein. Auch in Frankreich und Spanien liegt die Grenze bei 1.000 Euro, in Griechenland gar bei 500 Euro – und eine Absenkung auf 70 Euro ist im Gespräch.

In drei Schritten zur Massenadoption

Langjährige Erfahrungen zeigen, dass Neuerungen aller Art den Menschen häufig in drei Schritten nähergebracht werden. Betuchte Kreise sind für innovative Accessoires leicht zu begeistern und fungieren als ‚Testmarkt‘.

Etabliert sich etwas Neues dort, sollen Vergünstigungen und Annehmlichkeiten die breite Masse erreichen, um den Vorgänger im Alltag allmählich zu ersetzen. Der Übergang zu konkreten Nachteilen  – etwa durch höhere Gebühren für die Nichtnutzung – ist fließend und überzeugt auch Zweifler. 

Bargeld-Feinde dank Corona im Aufwind

Den Verfechtern bargeldlosen Zahlens kam die Corona-Pandemie dabei gerade recht. Obwohl Virologen die Legende vom Bargeld als Virenschleuder schon im März widerlegten, begannen Läden, Konsumenten um Kartenzahlung zu bitten. Die Grenze für das kontaktlose Zahlen ohne PIN-Eingabe wurde von 25 auf 50 Euro verdoppelt, erste Restaurant-Ketten schafften die Barzahlung ab.

Die Kampagne verfehlte die Wirkung nicht: Eine Verbraucherstudie in zwölf europäischen Ländern zeigt die rückläufige Beliebtheit von Bargeld auf. Nur noch 36 Prozent geben ihm den Vorzug beim Zahlen, sogar in Österreich als „letzter Bastion“ fiel der Wert erstmals unter 60 Prozent. Fast die Hälfte (44 Prozent) gab an, infolge der Corona-Krise häufiger mit der Karte zu zahlen.

EZB will digitalen Euro

Ein idealer Zeitpunkt also für die Europäische Zentralbank (EZB), endgültig auf den Zug aufzuspringen und die Einführung eines digitalen Euros zu forcieren. Die Experimente in China und Schweden sollen ausdrücklich als Vorbild dienen. In einem offenen Brief wandten sich zuvor zahlreiche Ökonomen mit der Forderung, diesen bis 2024 einzuführen, an die EZB. Funktionieren soll er wie Bitcoin über die Blockchain und digitale Online-Geldbörsen, sogenannte „Wallets“.

Im Gegensatz dazu wäre der digitale Euro aber ein zentrales System in Bankenhand. Datenschützer befürchten die Nachverfolgbarkeit auch kleinster Überweisungen. Offiziell soll er das Bargeld nur ergänzen – Befürworter und Kritiker glauben aber an eine Wachablöse in Etappen. Das Argument der Ersteren könnte sein: Abwarten und Tee trinken, alles wird sich fügen.

Modis Denkfehler: Gefährliche Geld-Experimente

Allerdings zeigte sich etwa im Jahr 2016 in Indien, wie schnell Geld-Experimente in die Hose gehen können. Im Kampf gegen Geldwäsche verspekulierte sich der beliebte, patriotische Premier Narendra Modi. Über Nacht ließ er die zwei höchsten Geldscheine entwerten. Man musste sie umtauschen oder auf ein Konto einzahlen, es gab tägliche Behebungsgrenzen. Für Einzahlungen ab 50.000 Rupien (700 Euro) ist die Angabe der Steuernummer seitdem Pflicht.

Am härtesten traf das die arme, weit von Banken entfernt lebende Landbevölkerung sowie kleine Händler, die um ihre Lebensgrundlage umfielen. 86 Prozent des Bargeldes wurden der Wirtschaft entzogen, aber die Schattenwirtschaft verschob weiter Schwarzgeld. Am Ende stürzten hehre Absichten das Land in eine Rezession und schmälerten die sehenswerte politische Bilanz Modis.

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