Während infolge der Ermordung George Floyds Berichte zu Rassismus und schwarzen Protesten die Medien dominieren, findet der Todestag eines großen Afroamerikaners auffällig wenig Beachtung. Sind die Ansichten Muhammad Alis etwa unerwünscht?
von Raphael Mayrhofer
Am 3. Juni jährte sich zum vierten Mal der Todestag von Muhammad Ali. Ali, der vielen nur als Ausnahmetalent des Boxsports bekannt sein dürfte, war jedoch ein mindestens ebenso herausragender politischer Aktivist.
Sein Kampf gegen den US-Imperialismus und die Diskriminierung von Afroamerikanern brachte ihm Haft- und Geldstrafen ein und führte zum zeitweisen Verlust seiner Boxlizenz und seines Weltmeistertitels.
Afroamerikaner, Athlet, Aktivist
Ein weltberühmter Afroamerikaner, der schon vor über 40 Jahren die Schlechterstellung der Schwarzen ankreidete! Was wie eine Steilvorlage für eine breite Gedenkkampagne zu Ehren Alis klingt, hat jedoch einen Haken: Im Gegensatz zu Martin Luther King sah Muhammad Ali die Zukunft der schwarzen US-Amerikaner nicht in einem multikulturellen Schmelztiegel, sondern in einer klaren Separation.
Er stand damit den Ideen schwarzer revolutionärer Nationalisten – wie etwa der „Nation of Islam“ – nahe, die seit Jahrzehnten für eigenständige, souveräne Gebiete auf dem Boden der heutigen USA kämpfen.
Alis Meinung, die „Vermischung der Rassen“ würde zur „Vernichtung der Identität der Afroamerikaner“ führen, dürfte bei den Verfechtern einer liberalen, multikulturellen Gesellschaft auf wenig Gegenliebe stoßen.
Ali stand mit seinen Ansichten und dem Wunsch nach schwarzer Abgrenzung jedoch nicht alleine da. Marcus Garvey, der als Begründer des schwarzen Nationalismus gilt, forderte schon in den 1920er-Jahren den Zusammenschluss der Afroamerikaner und ihre Rückkehr nach Afrika.
Sezession statt Integration
Auch der amerikanische Bürgerrechtler Malcolm X kämpfte in den 1960ern für die „permanente Trennung von zwanzig Millionen Ex-Sklaven von ihren ehemaligen Sklavenhaltern“. Dazu, so Malcolm X, sei es nötig, ein eigenes Land zu besitzen, um „unsere eigenen Arbeitsplätze zu schaffen und unsere eigene Wirtschaft zu kontrollieren.“
Die „Black Panther Party“, die als militanter Arm des schwarzen Nationalismus galt, verlangte in den 1960er- und 1970er-Jahren einen Volksentscheid der schwarzen US-Amerikaner über ihr nationales Schicksal; eine Forderung, die ihre Nachfolgeorganisation, die „New Black Panther Party“, wieder aufgreift.
Die Gruppierung antiimperialistischer und antikapitalistischer Afroamerikaner erfährt derzeit ein starkes Medienecho, da ihre stark bewaffneten Mitglieder an den „Black Lives Matter“-Protesten teilnehmen.
Erleben wir derzeit also auch ein Wiedererstarken des schwarzen Separatismus? Für die postmoderne „Linke“ wohl eine grauenhafte Vorstellung, galten ihnen die USA doch lange Zeit als multikulturelle Blaupause für Europa. Der chauvinistische und imperialistische Charakter der Vereinigten Staaten wurde dabei stets unter den Teppich gekehrt.
Landraub und Verschleppung
Vom Landraub an den Indianern über die Verschleppung und Versklavung von Afrikanern bis zu den zeitgenössischen Rohstoffkriegen gegen die Völker des Nahen Ostens kennzeichneten Entwurzelung und Entmenschlichung die Geschichte der USA.
Zahlreichen Afroamerikanern dürfte diese Traditionslinie bewusst sein, wie die aktuelle Zerstörung eines Denkmals für Christoph Kolumbus beweist. Auch Muhammad Ali wusste um die unheilige Allianz von Chauvinismus und Imperialismus.
So weigerte er sich 1967, als Soldat nach Vietnam zu gehen und begründete dies mit den Worten: „Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt.“ Seinen Protest begriff er daher auch als Zeichen gegen die Versklavung der Völker im Namen des Globalismus.
Denn, so sein Mitstreiter Malcolm X, es seien dieselben Strukturprinzipien, die zur Ausbeutung der „Dritten Welt“ und zur Diskriminierung der Afroamerikaner führen würden.
Sozialer Sprengstoff?
Bergen die Ziele der schwarzen Nationalisten also auch 2020 noch sozialen Sprengstoff? Die systematische mediale Ausblendung ihrer Forderungen legen zumindest den Verdacht nahe, dass dem System die Selbstbestimmung der Afroamerikaner unerwünscht zu sein scheint.