„Verbrennen musst du dich wollen in deiner eigenen Flamme. Wie wolltest du neu werden, wenn du nicht zuvor Asche geworden bist!“, weiß Friedrich Nietzsche, der Lehrmeister des Übermenschen. In pathetischen Worten drückt er aus, was für uns alle in diesen Stunden ein tröstender Leitsatz sein kann: Krisen sind notwendig, damit Besseres folgen kann. Doch gelingt das nur, wenn man genau hinsieht und daraus lernt.
Ein Kommentar von Elsa Mittmannsgruber
Unzählige Menschen müssen zurzeit Unglaubliches leisten. Sind es die Ärzte, Verkäufer, Polizisten, Pfleger und Landwirte oder auch die Eltern im Homeoffice, die gleichzeitig für ihre Kinder als Lehrer, Unterhalter und Kummerkasten da sind. Oder die Alleinlebenden, die in strenger Einhaltung der Maßnahmen die Einsamkeit erdrückt. Viele plagen Sorgen und Ängste. Schwangere, die um ihr Kind bangen, Menschen, die ihre Arbeit oder, noch schlimmer, Angehörige verloren haben, Firmenchefs, die möglicherweise ihr Lebenswerk aufgeben müssen oder schlichtweg die Tausenden Corona-Erkrankten. Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen und jeder, der dies nun meistert, hat vollsten Respekt verdient. Angesichts der vielen Schicksale habe ich besonderes Unverständnis für Menschen, die alles haben, aber in Selbstmitleid versinken. Noch viel schlimmer: dieses sogar ungeniert nach draußen posaunen. Für sie gibt es derzeit nichts Dramatischeres als Langeweile und der Überdruss der eigenen Familie.
Es wird gejammert …
Kaum zu glauben, aber bereits am ersten Tag, nachdem die Ausgangssperre verkündet worden war, vernahm ich bereits Jammern und Raunen aus allen Ecken. Auf Facebook liest man „draußen Corona, drinnen der Mann. Wo zum Teufel soll ich hin?“. Es fallen Sätze wie: Das ganze Haus sei geputzt, es gäbe nichts zu tun, wie sollte man das nur aushalten. Lagerkoller macht sich breit. Alkohol fließt in Strömen, denn „was soll man denn sonst den ganzen Tag machen“. Um die Zeit totzuschlagen, unterhalten sich Anrainer lieber lauthals über Käsekrainer, als einmal ein Buch in die Hand zu nehmen. Für sie unverständlich, dass manche Ruhe und Abgeschiedenheit sogar genießen könnten. Tausende starren in Dauerbeschallung in die Glotze und kommentieren dazu Schrott in den sozialen Medien. Wieder andere putzen mit Wattestäbchen die Fliesenfugen oder brechen schon nach 24 Stunden die Ausgangssperre, um den Nachbarn zu besuchen oder Besuch zu empfangen. Bei meinen Spaziergängen mit dem Kinderwagen wundere ich mich täglich, wie viele homosexuelle Pärchen es geben muss, da so viele gleichaltrige Männer- bzw. Frauen-Duos, bestimmt aus demselben Haushalt, sich die Füße vertreten. Ständig sehe ich fremde Gesichter in der Siedlung, da müssen jetzt viele neu hergezogen sein. Und wenn ich die Straße überqueren möchte, brauche ich fünf Minuten, weil so viele Autos fahren. Bestimmt sind sie alle am Weg zur Arbeit.
Wahrheit kommt ans Licht
Wohlgemerkt: Ich schreibe hier von wenigen Tagen, an denen die Ausgangssperre erst andauerte. Ist es denn wirklich so schwer, mal für sich alleine oder unter sich zu sein? Ich habe ja noch viel mehr Verständnis für Menschen, die alleine leben und sich mit der Einsamkeit schwertun. Aber als Paar oder Familie kann man es doch mal eine Zeit lang nur miteinander aushalten?! Und wenn nicht, sollte uns das nicht etwas über die Beschaffenheit unserer Beziehungen und unserer Innenwelt sagen? Wissen das vielleicht diejenigen, die sich in Alkohol, oberflächliche Gespräche und überflüssige Arbeit flüchten und handeln genau aus diesem Grund so? Für diese Menschen ist es ein Glück, dass die Ausgangssperren noch länger andauern, denn irgendwann bröckelt die Fassade. Wie bei einem reinigenden Gewitter bringen Krisen früher oder später Wahrheiten zum Vorschein: über sich selbst, seine Beziehungen, sein Umfeld, seinen Arbeitgeber, sein Leben und das gesamte System.
Veränderung durch Einkehr
Das kann weh tun. Aber es ist gleichzeitig eine riesige Chance, genauer hinzusehen und dabei Schönes und Hässliches zu entdecken. Es kann einem demütiger machen, indem man die überwältigende Anmut der Natur, den unbezahlbaren Schatz von Liebe und Geborgenheit in der Familie sowie den Wert frischer, saftiger Lebensmittel erkennt. Man besinnt sich auf wahre Werte, Sinn und Vergänglichkeit, anstatt sich von einer Ablenkung in die andere zu stürzen und in jeder ruhigen Minute den Fernseher einzuschalten. Man erkennt vielleicht, dass man sich selbst und den anderen zu sehr vernachlässigt hat und nutzt die Zeit, Körper und Geist aufzubauen und dem anderen einmal wirklich zuzuhören. Innere Einkehr kann einem auch dadurch neue Lebenskraft geben, indem man Missstände in seinem Leben und der Welt erkennt und beschließt, diese zu ändern. In jedem Fall lohnt es sich, nicht die Augen zu verschließen. Denn mit oder ohne Krise: Die Wahrheit kommt irgendwann ans Licht und um nicht davon überrascht zu werden, ist es besser, sie selbst zu ergründen. „Verbrennen musst du dich wollen in deiner eigenen Flamme“ – wirklich hinsehen und Konsequenzen ziehen, auch wenn es ungemütlich ist. Die Krise als Chance sehen, aus der Komfortzone treten. Nur so kann es für jeden selbst und letztlich für uns alle besser werden.