Nach S. Coells Erstlingsroman „Im Schatten des Gracchus“, der den Kampf Friedrich von Gentz‘, der rechten Hand Metternichs, gegen die „Verschwörung für die Gleichheit“ des Jakobiners Babeuf zum Thema hatte, rückt Gentz in „Die Karlsbadverschwörung“ der neugegründeten Deutschen Burschenschaft zu Leibe.
Gastbeitrag von Daniel Tapp
Nach Metternichs Schmach auf dem Aachener Kongress vom Herbst 1818 setzt der „Sekretär Europas“ alles daran die nächste Monarchen-Versammlung in Karlsbad im Folgejahr zu einem Triumph der konservativen Partei über die Anhänger einer progressiven Repräsentativ-Verfassung zu machen. Jedes Mittel ist ihm recht um den „gefährlichen liberalen Geist“ bereits im Keim zu ersticken. An der Restauration des Wiener Kongresses soll fortan nicht weiter gerüttelt werden. Vor allem die nationalrevolutionäre Burschenschaft, die ein geeintes Deutschland anstrebt, gerät dabei ins Fadenkreuz der Reaktion.
Revolutionäre Burschenschaft
Hier will Gentz den Hebel ansetzen, um den „demokratischen Ungeist“ aus den Angeln zu heben. Ein junger, schneidiger Grenadieroffizier, Klaus Steinmetz, wird als Spitzel in den harten Kern der Burschenschaft in Jena eingeschleust. Es sind die „Unbedingten“ um den charismatischen Juristen Karl Follen, die sich mit Haut und Haaren dem Kampf um ein geeintes Deutschland verschrieben haben. Eine föderale Republik freier Bürger mit einer protestantischen Staatsreligion – so das grobumrissene Ziel der radikalen Vereinigung. Inspiriert wird der Kreis von den „politischen Professoren“, die die burschenschaftliche Bewegung von Beginn ideologisch anführen. Heinrich Luden, Lorenz Oken und insbesondere Jakob Friedrich Fries verfassen die Schriften, die den Unbedingten als theoretische Grundlage dienen.
Karl Ludwig Sand – der Attentäter
Als Handlungsanleitung werden die Ideen allerdings extrem auf die Spitze getrieben: „Glaube – Wissen – Ahndung“ (Gedanke – Vorsatz – Tat), so lautet die Trias der Follen-Jünger. Jeder Bundesbruder hat seiner Bestimmung, seiner Überzeugung zu folgen. Sieht sich ein Mitglied „auserwählt“, dann darf sogar vor einem politischen Mord nicht zurückgeschreckt werden; mit einer ethischen Einschränkung: Fries‘ Goldener Regel: „Tue niemandem etwas an, was du nicht selbst bereit bist zu ertragen“ ist Folge zu leisten. Noch scheut sich der enge Kreis die Theorie des „Attentatismus“ auch in die Tat umzusetzen. Doch als der Spitzel Steinmetz nach seiner blutigen Bewährungsprobe Eingang in den verschworen Zirkel erhält, nimmt das Schicksal seinen Lauf, das für den Unbedingten Karl Ludwig Sand auf dem Schafott und für die gesamte Burschenschaft in der Demagogen-Verfolgung enden soll.
Spannender Historienroman
Dem Autor ist wieder ein Buch gelungen, das spannend wie ein Krimi ist, das aber ebenso auch romantisch-schwärmerische Elemente eines historischen Studentenromans enthält. S. Coell bleibt mit seiner verfassungsjuristischen und rechtsphilosophischen Betrachtung auch in diesem Werk nicht an der Oberfläche. Er bedient sich dabei eines Mittels, das die Lesbarkeit in keiner Weise einschränkt: In den Briefwechseln des Gentz zwischen seinem Spitzel Steinmetz werden die Theorien der Gründungsväter der Allgemeinen Burschenschaft, der radikalrevolutionären Aktivisten und die Sichtweise der Reaktion auf den Punkt gebracht.
Frage nach Moral und Recht
Überraschen wird den Leser möglicherweise die starke religiöse Attitüde des Kreises um Karl Follen. So ist der Kotzebue-Attentäter Karl Ludwig Sand nicht nur ein republikanischer Schwärmer, sondern auch ein religiöser Fanatiker. Die Unbedingten verfolgten einen streng auf den lutherischen Protestantismus ausgerichteten „Gottesstaat“ und wirken aus heutiger Sicht wie „Vormärz-Taliban“.
„Wer aus moralischen Gründen einen Mord begeht, ist kein Mörder“, erklärt Sands Bundesbruder Löning. Ein Standpunkt auf den sich bis zum heutigen Tag zahlreiche (tatsächliche und vermeintliche) Freiheitskämpfer berufen. Das Buch ist also von hoher Aktualität. Doch nicht nur der Standpunkt der burschenschaftlichen Attentäter, nein, auch das Agieren der Reaktion, des Metternichschen Obrigkeitsstaates, findet seine Entsprechungen in der Gegenwart. Der Leser stellt sich nach der Lektüre der „Karlsbadverschwörung“ die Fragen: Wie weit geht ein Staat bei der Durchsetzung seiner Interessen im Inland? Welche politischen Provokationen sind „echt“, welche sind vielleicht staatlich gelenkt? Sind die Ähnlichkeiten zwischen Zensur der Presse durch den Fürsten Metternich und das „Fake-News“-Verbot eines Ministers Heiko Maas rein zufällig?
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