Es gibt kaum Besucher, die von der alten Eisenstadt Steyr nicht begeistert sind. Denn diese steckt nicht nur voller Geschichte, sondern auch voller Geschichten. Die offizielle Geschichte ist in vielen Büchern nachzulesen, die inoffiziellen Geschichtchen bekommt man nur bei den intimen Entdeckungsrundgängen des örtlichen Tourismusverbands zu hören – wie auch unlängst bei einer geführten Wanderung durchs alte Steyrdorf.
Mit etwa fünfzig Teilnehmern war die Reise in die Vergangenheit der mittelalterlichen Stadt überaus gut gebucht und sogar Einheimische haben dabei noch etwas erfahren, was sie bis dahin noch nicht wussten. Einige schienen zunächst auch kaum glauben zu wollen, was die beiden Führerinnen erzählten, weil es in keinen offiziellen Druckwerken verzeichnet steht. Aber es gibt archivierte Unterlagen darüber, die den Wahrheitsgehalt der erzählten Anekdoten bestätigen.
Unser Stadtspaziergang beginnt beim alten Rokkoko-Rathaus auf dem Stadtplatz. Dass Steyr in den Tagen des Grafengeschlechts der Otakare, die später von Kaiser Friedrich Barbarossa zu Herzögen ernannt wurden, einmal eine Art Hauptstadt der Steiermark war wie die beiden Stadtführerinnen nicht ohne Stolz erklären, mag einem als historisch Interessierter noch geläufig sein, zumal auch das städtische Wappen bis heute an die Tatsache erinnert. Es zeigt im Schild einen weißen Panther auf grünem Grund. Das ist auch das offizielle Wappen des Bundeslandes Steiermark.
Glanzvolles Ritterleben
Doch dass es auf der legendären Styriaburg in Steyr, die in mittelalterlichen Epen eine literarische Verewigung fand, einmal hoch her gegangen ist, dürfte weitgehend in Vergessenheit geraten sein. Aber die prächtige Hofhaltung der Otakare ist überliefert und ihre Burg, die allerdings von den Grafen von Wels-Lambach erbaut und 980 erstmals erwähnt wurde, war einst ein Schauplatz spektakulären ritterlichen Lebens und eine Stätte, an der man auch die edlen Künste ausgiebig pflegte wie beispielsweise den Minnesang. Doch da im Leben alles vergänglich ist, verloren die Styriaburg und Steyr irgendwann einmal ihre Bedeutung als Herzogssitz und Herzogsstadt, aber nicht seine bedeutende Rolle als Verarbeitungs- und Handelszentrum für das Eisen.
Das Geschäft mit dem Eisen hat die Stadt und seine Bürger auch reich gemacht, wovon noch heute die prächtigen Häuser auf dem Stadtplatz und in den umliegenden Gassen zeugen. Auch die Trennung Steyrs von seiner wirtschaftlichen Basis, dem Erzberg, im Jahr 1254 vermochte daran nichts zu ändern. Das geschah unter den Habsburgern und war eine Folge des Friedens von Ofen. Die Geschäfte wurden dadurch nicht beeinträchtigt, zumal die Steyrer – als Ausgleich für den Verlust – ein großes Privileg erhielten: ein dreitägiges Stapelrecht für Holz und Eisen. Von da an florierten die Geschäfte noch mehr, welche auch für einen großen Zuzug von Handwerkern aus dem Nürnberger Raum sorgten. Neben Harnischmachern und Klingenschmieden kamen vor allem Messerer in die Stadt, deren Zunft zu den ältesten in Österreich gehört.
Verdiente „Wappler“
So mancher eisenverarbeitender Unternehmer, damals Hammerherr genannt, oder Eisenhändler, hat es zu großem Wohlstand und Ansehen gebracht. Die Verdientesten wurden geadelt und durften von da ein Wappen führen. Dieses ließen sich einige stolz in die Hausmauer meißeln wie man auch am blauen Haus auf dem Stadtplatz sehen kann. Der Volksmund nannte diese neuen Adeligen etwas geringschätzig Wappler, erklärt schmunzelnd eine der Stadtführerinnen, womit auch die Herkunft des heute noch gebräuchlichen Begriffs geklärt sein dürfte.
Durch die Enge Gasse spazierend erreicht unsere Gruppe die Michaelakirche, in der die Orgel aus der Klosterkirche von Garsten eine neue Bleibe gefunden hat. Denn nachdem Kaiser Josef II. das Kloster schließen ließ, wurde das kostbare Instrument in die Kirche nach Steyr verlegt. Da der Komponist Anton Bruckner oft und gern in der Steyrer Stadtpfarrkirche die Orgel spielte, wurde er eines Tages gebeten, er möge doch auch einmal das schöne Instrument in der Michaelakirche zum Klingen bringen. Doch wer annimmt, Bruckner hätte nun sofort freudig zugestimmt, der irrt. Ruppig konterte der Komponist: Auf gestohlenen Orgeln spiele er nicht. Nicht einmal der Einwand, dass die Schließung des Klosters und die Versetzung der Orgel schon vor 100 Jahre erfolgt sei, vermochte den Mann umzustimmen.
Mittelalterliche Relikte
Wir ziehen einige Schritte weiter und stehen vorm Christkindl-Museum, das in einem ehemaligen Siechenhaus untergebracht ist. Vis-a-vis steht ein Wohnhaus, das früher eine Gastwirtschaft war und das, was sich dort um die Jahrhundertwende ereignet hat, wäre heute ein Skandal. Dabei handelt es sich um „a b‘soffene Gschicht“ wie man so zu sagen pflegt, in die niemand Geringerer als der Waffenfabrikant Josef Werndl verwickelt war. Bei einem Zechgelage zu später Stunde mit seinen Arbeitern versprach er einem Zechkumpan namens Doppler, ihm ein Haus zu schenken, wenn es ihm gelänge, seine zu Hause wohl schon schlafende Frau auf der Stelle hierher zu beordern, und zwar so wie sie gerade bekleidet sei. Doppler überlegte nicht lange, eilte nach Hause und kehrte prompt mit seiner Frau im Nachtgewand wieder ins Wirtshaus zurück, wo man die beiden vermutlich mit johlendem Gelächter empfangen haben dürfte. Werndl stand natürlich zu seinem Versprechen und überschrieb dem Mann tags darauf das Haus mit der Adresse Badgasse Nr. 1.
Die Führung durch das alte Steyrdorf, das einst von einer Stadtmauer mit sieben Stadttoren umgeben war, endete vor Schmollgrubers Lebzelterhaus und wer jetzt neugierig geworden ist, ist nun eingeladen, sich am 8. April an einer neuen Wanderung durch die herrliche Stadt an der Steyr zu beteiligen.
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