Stadtplatz Perg: „Kennen sie Johann Schober, Dr. Schober?“ frage ich eine ältere Dame mit Einkaufstasche. „Meinen sie den Arzt?“, kommt die Gegenfrage. Nein – ich brauche keinen Arzt. Ich bin auf Spurensuche nach einem früheren Bundeskanzler.
Ein Beitrag von Georg M. Hofbauer
Schnell gebe ich die Umfrage auf. Selbst in seiner Geburtsstadt scheint er vergessen: Dr. Johann Schober, zweimaliger Bundeskanzler. Und: Er gilt als Gründer von Interpol, vor genau 95 Jahren.
Vernetztes Denken
Es war im Jahr 1923: Der in Perg geborene und in Linz ins Gymnasium gegangene Dr. Johannes, später Johann, Schober lud als Wiener Polizeipräsident Polizeichefs aus aller Welt ein, um über eine internationale Zusammenarbeit nachzudenken. Delegierte aus ganz Europa und den USA versuchten, Lösungen zu erarbeiten, um einer sich immer mehr vernetzenden Welt auch ein vernetztes Denken bei der Polizeiarbeit gegenüber zu stellen.
Heute als Interpol ein Begriff, war es allerdings zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg alles andere als normal, internationale Fahndungen, eine internationale Verbrecherkartei und überhaupt auf Zusammenarbeit zu setzen.
Polizeipräsident
Dr. Schober, der im Jahr 1874 als Sohn eines Amtsdieners der Bezirkshauptmannschaft Perg geboren worden war, hatte die Chance gehabt, in Wien Jus zu studieren und war offenbar bald so erfolgreich, dass er 1918 zum Wiener Polizeipräsidenten ernannt wurde.
Und hier wird es nicht nur nostalgisch, sondern so richtig kaiserlich, wie uns Mag. Harald Seyrl vom Museum für Zeitgeschichte in Scharnstein (Bezirk Gmunden) über den fast vergessenen Interpol-Gründer und Bundeskanzler berichtet: „Schober wurde noch vom letzten Kaiser zum Wiener Polizeipräsidenten ernannt.
Das war auch der letzte Akt, die letzte offizielle Amtshandlung von Kaiser Karl. Schober war jedoch deutlich mehr als nur Interpol-Gründer. Er war ein Reformator. Die Pragmatisierung war zum Beispiel seine Leistung.“ Für den Historiker Mag. Seyrl ist es zusätzlich wichtig festzuhalten: „Schober war parteilos.“ Alle Achtung.
Wer in den Umbruch-Zeiten von der Monarchie zur ersten Republik in Österreich politisch tätig und erfolgreich war, der ist natürlich umstritten.
Umstritten
Vor allem dann, wenn er als neuerlich bestellter Wiener Polizeipräsident Entscheidungen treffen musste: Beim Brand des Justizpalastes im Jahr 1927 hätte er die Lage falsch eingeschätzt und sei für den Tod von 94 Menschen verantwortlich.
Das zumindest ergab eine Historiker-Untersuchung vor wenigen Jahren, worauf seine Ehrenbürgerschaft in Perg sowie die Straßenbenennungen nach ihm in Frage gestellt wurden.
Keine Feier
Karl Kraus als Herausgeber der Zeitschrift „Die Fackel“ ließ nach dem Brand des Justizpalastes in Wien großflächig plakatieren: „An den Polizeipräsidenten von Wien Johann Schober. Ich fordere Sie auf, abzutreten.“
In Perg auf jeden Fall gibt es nach wie vor die Dr.-Schober-Straße und auch eine im 13. Bezirk in Wien. Initiativen, die die Entfernung dieser Erinnerungen gefordert hatten, sind offenbar nicht mehr aktiv. Große Feierlichkeiten zum 95. Gründungstag der Interpol oder zur Würdigung ihres Gründers sind 2018 allerdings ebenfalls nicht in Sicht.