Die Meldung von 91.000 türkisch-österreichischen Doppelstaatsbürgern auf Erdogans Wahllisten hat viele überrascht. Betrachtet man aber das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz, sowie Theorie und Praxis der Einbürgerungen in Österreich, sieht die Sache jedoch ganz anders aus. Viele fragen sich: Warum handelt der Staat nicht?
Theoretisch liegt dem österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht die „Ordnungsvorstellung zugrunde, mehrfache Staatsbürgerschaften nach Möglichkeit zu vermeiden“, wie der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in einem Erkenntnis vom 3.5.2000 (GZ 99/01/0414) feststellte.
Wer eingebürgert wird, ist daher im Regelfall verpflichtet, seine frühere Staatsbürgerschaft abzulegen, widrigenfalls ihm die neuerworbene österreichische wieder zu entziehen ist. Hier handelt es sich um eine zwingende Bestimmung. Liegen die in diesen Bestimmungen normierten Voraussetzungen vor, ist die Behörde verpflichtet, die Staatsbürgerschaft zu entziehen, urteilte der VwGH noch 1974 (1736/73, 12.11.1974).
Theorie und Praxis klaffen weit auseinander
Doch in der Praxis sieht die Sache völlig anders aus. Es beginnt bereits bei den im Gesetz vorgesehenen Fristen. Vorerst hat der Eingebürgerte zwei Jahre Zeit, das Ausscheiden aus der fremden Staatsbürgerschaft zu betreiben und dies nachzuweisen. Geschieht dies nicht, ist er „mindestens sechs Monate vor der beabsichtigten Entziehung der Staatsbürgerschaft“ über den drohenden Entzug zu belehren (§ 34 Abs 2 StbG). Erst danach kann die Entziehung stattfinden.
Doch nach Ablauf von sechs Jahren nach der Verleihung ist die Entziehung nicht mehr zulässig (§ 34 Abs 3 StbG). Das bedeutet, dass der Beobachtungszeitraum auf dreieinhalb Jahre eingeschränkt wird. Bei Untätigkeit der Behörde – aus welchen Gründen immer – wird die Doppelstaatsbürgerschaft verewigt!
Doppelstaatsbürger dürfen auf Duldung hoffen
Bei zukünftigen Masseneinbürgerungen wird dies in vielen Fällen zu erwarten sein. Die Judikatur verschärft diese Gefahr noch erheblich, indem sie das Risiko der Zustellung der Belehrung dem österreichischen Staat zuteilt. Verschwindet nämlich der Neueingebürgerte zur vorübergehenden postalischen Unerreichbarkeit, kann er nicht mehr fristgerecht belehrt werden, sodass ihm die österreichische Staatsbürgerschaft für immer erhalten bleibt.
EuGH verschärft durch Gummibegriffe Problematik
Eine weitere Möglichkeit zur Umgehung des Staatsbürgerschaftsverlustes bilden die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in diesem Zusammenhang geschaffenen Grundsätze der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit. Es sind dies bloße Gummibegriffe, mit denen Ausländer-Lobbyisten vorzüglich hantieren: So begehrt der EuGH in einem Urteil (Rottmann, C-135/08 vom 3.3.2010) die Prüfung, „ob die Rücknahmeentscheidung (der Verlust der Staatsbürgerschaft, Anm.) hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt“.
Dabei seien „die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt.“ Auf Grund dieser Rechtsansicht hob der VwGH den Entziehungsbescheid auf und trug der Unterinstanz auf, im fortgesetzten Verfahren diese Grundsätze zu prüfen.
Hier wurde eine ursprünglich zwingende Norm elegant ausgehebelt und ein gewaltiger Auslegungsspielraum für fremdenfreundliche Entscheidungen eröffnet.
Entzug einer unrechtmäßig verliehenen Staatsbürgerschaft praktisch unmöglich
Bleibt letztlich noch die Möglichkeit der Behebung eines Einbürgerungsbescheides nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) auch nach Ablauf der sechsjährigen Frist, nämlich dann, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist (§ 69 Abs 1 Z.1 AVG). Hier kann ein Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden (§ 69 Abs 3 AVG).
Die Erschleichung eines Bescheides setzt Irreführungsabsicht voraus, die Partei muss wider besseren Wissens gehandelt haben, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (VwGH, GZ 2013/01/0138 vom 17.12.2013). Ob Irreführungsabsicht vorliegt, hat die Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen.
Aber selbst wenn sie diese bejahen sollte, wird dies wohl kaum für die Erlassung eines Entziehungsbescheides genügen. Denn es sind letztlich wiederum die erwähnten Grundsätze der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit zu prüfen, gleichsam als Notbremse gegen die drohende Ausbürgerung.
Der Hütchensprung in die Doppelstaatsbürgerschaft wird so gelingen und sanktionslos bleiben!
All dies zeigt die Gesamttendenz des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechtes: ein weitgehender Kontrollverzicht, realitätsfremde, weil zu knappe Fristen ermöglichen Einbürgerungen, die offensichtlich dem öffentlichen Interesse widersprechen.
Schon nach sechs Jahren wird eingebürgert!
Katastrophal wirkte sich die 2006 durch die damalige ÖVP/BZÖ-Regierung unternommene Novelle zum Staatsbürgerschaftsgesetz aus: Seither ist gemäß § 11a Abs 4 StbG einem Fremden nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens 6 Jahren(!) im Bundesgebiet im Falle seiner Unbescholtenheit und nach Erfüllung anderer im allgemeinen leicht zu erfüllender Auflagen die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn ihm u.a. der Status eines Asylberechtigten zukommt.
Vorher waren 4 Jahre als Mindesaufenthaltsdauer vorgesehen. Wer meint, dass das Gesetz verschärft wurde, der irrt. Es ist nur scheinbar eine Verschärfung, in Wirklichkeit aber eine Milderung. Denn früher konnten die Behörden nach vierjährigem inländischen Aufenthalt einbürgern (kann-Bestimmung), es lag also in ihrem Ermessen, ob die Staatsbürgerschaft verliehen wurde oder nicht.
Jetzt müssen sie nach sechsjährigem Aufenthalt einbürgern (ist-Bestimmung), es besteht ein Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft.
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