Der Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei bringt die Visafreiheit. Die möglichen Folgen für Deutschland und Österreich werden ausgeblendet, doch Millionen könnten bald ihre Reise antreten.
Mehr als 11 Millionen Türken leben ständig in Armut. Das bedeutet, dass ihr monatliches Einkommen als Tagelöhner oder Feldarbeiter nicht mehr als 135 Euro beträgt. Davon haben rund 6,5 Millionen nicht einmal 110 Euro pro Monat.
Viele von diesen Menschen träumen von einer Ausreise nach Mitteleuropa. Wer es schafft, etwa in die österreichische Mindestsicherung zu gelangen, bekäme in Oberösterreich 914 Euro im Monat. Derzeit werden jährlich rund 210.000 Schengen-Visa für Deutschland beantragt und genehmigt – trotz mühsamer Prozedur. Denn für ein Visum müssen zahlreiche Dokumente vorgelegt werden. Einkommensnachweise, Steuerbescheide, Kontoauszüge, Versicherungsurkunden und so weiter. Das alles fällt ab Juni weg, ab dann können türkische Staatsbürger problemlos in die EU einreisen.
Kurden-Ausreise
In der Türkei leben mehr als 14 Millionen Kurden, welche sich unterdrückt fühlen und als Minderheit nicht anerkannt werden. Der grüne Ex-Bundesrat Efgani Dönmez warnt vor einer kurdischen Auswanderungswelle: „In der Türkei herrscht de facto Bürgerkrieg. Die kurdische Bevölkerung ist vor allem in den östlichen Gebieten massiv unter Druck. Sehr, sehr viele Kurdisch-Stämmige werden nach Europa aufbrechen, weil in Europa bereits eine sehr starke und gut vernetzte Diaspora der kurdischen Vereine besteht. Sehr Viele kommen dann nicht über die Asylschiene, sondern eben über die Visaschiene.“ Er wirft den politischen Akteuren “Kurzsichtigkeit“ vor.
Europäer skeptisch
Angesichts dieser drohenden Zahlen scheint das Misstrauen der Europäer gerechtfertigt. Eine aktuelle Umfrage der „Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik“ ergibt: Zwei Drittel glauben, dass der Flüchtlingsdeal mit der Türkei die Lage nicht beruhigen wird. Gerade einmal 24% der Befragten können sich dazu durchringen, die Zusammenarbeit mit der Türkei als „eher Erfolg versprechend” zu bezeichnen.