Ende Juni zerstörten wütende Türken im Istanbuler Arbeiterviertel von Kücuükcekmece Geschäfte von Syrern, die als Flüchtlinge in die Türkei kamen. Auslöser dafür waren Gerüchte, dass ein Syrer angeblich ein 5-jähriges Mädchen belästigte. Obwohl die Polizei das Gerücht dementierte, gelang es ihr erst unter Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas, die Menge aufzulösen. Die Wut der Türken hat aber einen tieferen Grund.
Ein Beitrag von Kornelia Kirchweger
Job-Konkurrenz und Kulturkonflikte
Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien, sind fast 4 Millionen von dort ins Land gekommen. Knapp 1 Million davon leben allein in der 16 Millionen-Stadt Istanbul, vorwiegend in Ghettos. Sie haben „temporären Schutzstatus“, viele haben keine Arbeitsgenehmigung, arbeiten zum halben Lohn und setzten damit die Türken unter Druck. Diese glauben auch, syrische Flüchtlinge erhalten bessere Sozial- und Gesundheitsleistungen und finanzielle Unterstützung. Und sie beklagen die syrischen Bettler in der Stadt, steigende Kriminalität und den allgegenwärtigen Geruch aus syrischen Geschäften von Schischa-Pfeifen, Öl- und Gewürzen. Die angespannte Wirtschaftslage heizt das feindliche Klima noch an. Es gab bereits mehrere Ausschreitungen dieser Art – auch in Ankara.
Bürgermeister holt Wählerstimmen mit Syrer-Kritik
Der jetzige Bürgermeister des sehr modernen und westlichen Istanbul, Ekrem Imamoglu, hat sich im Wahlkampf im Juni wiederholt kritisch zu den Syrern geäußert. Sein Wahlerfolg ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen. Ein Faktum, das in westlichen Medien tunlichst verschwiegen wurde. In den sozialen Netzwerken verbreitete sich der Hashtag #SyrerRaus (“Suriyeliler Defoluyor”) in Windeseile. Nach seiner Wahl zum Bürgermeister kritisierte Imamoglu, dass es in Istanbul zu viele Ladenschilder auf Arabisch statt auf Türkisch gebe. „Hier ist die Türkei, hier ist Istanbul“, sagte er.
Innenminister: Aktion scharf gegen illegale Migranten
Unter dem Druck der Opposition und nach dem Wahlerfolg von Imamoglu in Istanbul, änderte der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, ebenfalls seinen Kurs. Statt auf „muslimische Solidarität“ setzt er nun auf Härte. Innenminister Süleyman Soylu will künftig in Istanbul keine weiteren Syrer registrieren. Maßnahmen gegen illegale Migranten und Ghettobildung haben jetzt Priorität, sagte er. Illegale Migranten dürfen nicht mehr beschäftigt werden, ihr Straßenhandel ist verboten. Über 700 syrische Geschäftsleute wurden angewiesen, ihre arabischen Schilder auszutauschen.
Umfragen: Syrer unerwünscht
Verschiedene Umfrage zeigen, dass immer mehr Türken unzufrieden über die Präsenz der Syrer sind. Laut jüngsten Erhebungen der Kadir Has Universität von Istanbul sind das 67,7 Prozent der Befragten. 2017 waren es 54,5 Prozent. Im Bezirk Fatih, wo besonders viele Syrer leben, gaben Bewohner als größtes Problem „die Syrer“ an, gefolgt von „wirtschaftlichen Problemen“. 95 Prozent der Bewohner von Fatih sind unzufrieden mit der Präsenz der Syrer.